Antoine de Saint-Exupéry

Antoine de Saint-Exupéry, Schöpfer des Jahrhundertbestsellers „Der kleine Prinz“, war im Innersten viel mehr leidenschaftlicher Pilot als Schriftsteller. Auf unzähligen Flügen über Meere und Wüsten wurde er zum schreibenden Philosophen

Dass dies sein letzter Auftrag sein sollte, war beschlossene Sache. Ein einziges Mal noch und dann nie wieder wollte der Gruppenkommandant Gavoille seinen Aufklärer auf einen Flug Richtung Lyon schicken. Antoine de Saint-Exupéry war längst in die Landungspläne der Alliierten eingeweiht worden und wusste, wo die Soldaten in Südfrankreich an Land gehen sollten. Weil im Feindesgebiet abgeschossene Piloten, die über derart delikate Informationen verfügten, ein Sicherheitsrisiko darstellten, war auch diese letzte Mission des fliegenden Dichters eigentlich kaum zu verantworten. Außerdem war er nicht mehr ganz gesund und mit seinen 44 Jahren vielleicht sowieso schon zu alt fürs Cockpit.

Man sah ihn noch am 30. Juli 1944 auf Korsika. Da saß er mit britischen und amerikanischen Offizieren in einem Café in Bastia. Zum Abendessen entschuldigte er sich. Tags darauf betrat er den Frühstücksraum in Erbalunga, startbereit. Einmal noch die umständliche Ankleideprozedur – Sauerstoffmaske, Schwimmweste, Fallschirm, die Sauerstoffflasche ans Bein geschnallt. Um viertel vor neun am Morgen erhob sich seine P-38 Lightning in den Himmel über dem Mittelmeer.

Mit dem Meer ist es wie mit der Wüste und dem Weltall. Es hat die Macht, einen Menschen zu verschlucken und für immer bei sich zu halten. Es ist hypnotisch. Wer sich in den Wellen, den Dünen oder im Antlitz der Sterne verliert, der verliert darüber die Kontur jenes Lebens, das die Menschen normalerweise unter ihresgleichen ausmachen. Gnostiker und Eremiten wenden sich in ihrer Einsamkeit an andere Gesprächspartner, zum Beispiel die Götter. Man kann die Unterhaltungen, die sie mit ihnen dann führen, natürlich auch für Selbstgespräche halten. Und vieles spricht dafür, dass eines der meistgedruckten Bücher aller Zeiten, nämlich „Der kleine Prinz“, weniger ein Märchen ist oder ein symbolisch verschlüsseltes Kunstprodukt als vielmehr der beinahe schon journalistisch nüchterne Rapport einer Einsamkeitserfahrung, die sein Autor, der berufsmäßige Flieger Antoine de Saint-Exupéry, in der Wüste tatsächlich selbst gemacht hat. Saint-Exupéry hatte in seinem Leben schon mehrere Not- und Bruchlandungen erlebt, und er kannte wohl die Zustände, in die ein Mensch ohne Wasser in der Wüste irgendwann ganz automatisch gerät. Zum Beispiel, als er 1935 den Streckenrekord zwischen Paris und Saigon brechen wollte, aber in der ägyptischen Sahara notlanden musste: Da irrte er fünf Tage durch die Wüste, bis er auf eine Karawane traf, die ihn am Leben erhielt. Dass einem in diesen von Durst und Halluzinationen geschüttelten Momenten ein kleiner Prinz begegnet, der eigentlich auf einem winzig kleinen Asteroiden zu Hause ist (so klein nämlich, dass dort niemand sonst mehr Platz findet, und auch so klein, dass man nur wenige Schritte tun muss, um den Sonnenuntergang an einem einzigen Tag so oft zu genießen, wie man will) – kurzum: dass also einem fast Verdurstenden solche Dinge im An- blick der hitzeflimmernden Unendlichkeit der Dünen durch den Kopf gehen, das ist kein großes Wunder. Vielleicht ist „Der kleine Prinz“ nichts anderes als das Protokoll einer Halluzination, die von Sonne, Durst und Einsamkeit hervorgerufen wurde, eine Fata Morgana der Extremerfahrung.

Jedenfalls ist dieser Schriftsteller wohl kaum zu verstehen, ohne dass man seine Lebensumstände kennt. Leben und Schreiben sind bei kaum einem anderen so eng miteinander verknüpft wie bei diesem. Genauer gesagt: Leben und Schreiben – und Sterben.

Das Geschlecht der Saint-Exupérys lässt sich bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen. Ob es am Kreuzrittererbe liegt? Die monadische Existenz scheint Antoine im Blut gelegen haben. So berühmt er schon zu Lebzeiten als Schriftsteller war, sah er seine eigentliche Bestimmung bis zuletzt in der Fliegerei. Man muss ihn sich wohl als halbwegs glückliches Kind vorstellen. Saint-Exupéry wuchs auf Schlössern auf. Das eine, Saint-Maurice-de-Rémens, lag zwischen Jura und Rhônetal, das andere, La Môle, bei Saint-Tropez. Da lockte mit der Seeluft der Côte d’Azur schon die Freiheit. An der Seite seiner vier Geschwister schaut der Junge aus einem blütenweißen Matrosenanzug in die Kamera des Familienfotografen. Ahnte damals jemand, dass einmal ein Matrose zur Luft aus ihm werden sollte? 


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mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Ronald Düker

Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist promovierter Kulturwissenschaftler und Journalist. Er lebt als freier Autor in Berlin und schreibt unter anderem für die Zeit. Zuletzt erschien von ihm in mare No. 105 ein Text über die Folgen des Opiumhandels in Hongkong.

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Vita Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist promovierter Kulturwissenschaftler und Journalist. Er lebt als freier Autor in Berlin und schreibt unter anderem für die Zeit. Zuletzt erschien von ihm in mare No. 105 ein Text über die Folgen des Opiumhandels in Hongkong.
Person Von Ronald Düker
Vita Ronald Düker, Jahrgang 1970, ist promovierter Kulturwissenschaftler und Journalist. Er lebt als freier Autor in Berlin und schreibt unter anderem für die Zeit. Zuletzt erschien von ihm in mare No. 105 ein Text über die Folgen des Opiumhandels in Hongkong.
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