An kleinen Schrauben drehen

Wenn die Ingenieure bauen könnten, wie sie wollen, wären Schiffe sauber, sparsam und sicher zugleich. Aber Reeder rechnen anders

In der Technischen Universität Harburg steht eine große Maschine und macht mehrmals die Woche Radau. Der haushohe 440-Kilowatt-Einzylindermotor läuft im Dienst der Schifffahrt. Horst Rulfs und seine Mitarbeiter vom Arbeitsbereich "Wärmekraftanlagen und Schiffsmaschinen" studieren Details der Verbrennung. Was passiert, wenn ich den Motor nicht nur mit einer einzigen Portion Kraftstoff füttere, sondern ihm zusätzlich winzige "Piloteinspritzungen" anbiete? Wird er wie erhofft die giftigen Stickoxide in den Griff bekommen? Schiffsmotoren sind ins Gerede gekommen, seit Klimaexperten ihnen Einflüsse auf das globale Klima unterstellen. Eine Reduzierung der Emissionen wäre eine dringend notwendige Neuerung. Spektakulär wäre sie nicht. Innovation im Schiffbau - das heißt bisweilen: an kleinen Schrauben drehen.

Wer gemeinhin an modernen Schiffbau denkt, dem kommen Bilder in den Sinn, die er im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen hat: Schiffe, die knapp über der Wasseroberfläche fliegen. Schiffe mit fünf Rümpfen. Schiffe, die sich von einem Lenkdrachen ziehen lassen. Es stimmt ja auch: Für die schwedische Marine wurde eine Tarnkappenkorvette komplett aus Kunststoff gebaut. Die Amerikaner entwickeln 100 Meter lange Militärtransporter, die unerhörte 60 Knoten (mehr als 100 km/h) schnell sein sollen. Technologische Sensationen, Zukunftsprojekte.

Der gewöhnliche Schiffbauer denkt dagegen über "Nutzfahrzeuge" nach. Er hat gelernt, gemeinsam mit den Kunden zu rechnen. Für ihn bedeutet Innovation das Ausloten technischer Grenzen unter Berücksichtigung limitierender Faktoren: Sicherheit, Umweltverträglichkeit und insbesondere die Kassenlage der Kunden. Deren Zielvorgabe lautet in der Regel: Innovation gern, aber kostenneutral.

Viele schöne Entwicklungsziele. Leider widersprechen sie einander. Klassisches Beispiel: Mit viel Aufwand schafft es ein Konstrukteur, einen sparsamen Motor zu entwickeln. Natürlich sollte ein Motor, der weniger verbrennt, auch weniger Abgas produzieren. Doch dafür nimmt nun das Volumen bestimmter Abgasgifte zu. In der Branche kursiert das Wort "Dieseldilemma". Ein Dieselmotor, der weniger verbraucht, stößt erwartungsgemäß auch weniger CO2 aus. Doch meist nimmt zumindest der Stickoxidausstoß bedrohliche Ausmaße an. Weniger Verbrauch und weniger Emissionen zugleich sind nicht oder nur aufwendig zu haben.

Rulfs beschreibt eine mögliche Maßnahme zur Lösung des Dilemmas: Kühlung durch Wasser. Man nehme einen dieser reihenhausgroßen Schiffszweitakter, die mit einem beispiellosen Wirkungsgrad von über 50 Prozent (Pkw-Ottomotor: etwa 28 Prozent) laufen. Doch je besser ihre Verbrennung, desto heißer ist die Temperatur. Jenseits von 1000 Grad Celsius entstehen große Mengen Stickoxide. Nun kann man den Treibstoff entweder mit 30 bis 40 Prozent Wasser "verdünnen" oder das Wasser direkt in den Brennraum einspritzen.

Horst Rulfs erklärt das so: "Die Chemie wird ausgetrickst, indem man die lokalen Temperaturspitzen abzubauen versucht." Nachteil sei das Erfordernis großer Wasserpumpen und leistungsfähiger Meerwasseraufbereitung - eine Investition, die nur für "grüne Reeder" lohne, meint Rulfs.

Er kümmert sich lieber um die Maschine selbst. Direkteinspritzung, Ladedruckerhöhung, Common Rail und variables Ventilspiel - aktuelle Themen der Autohersteller werden auch im Schiffsmotorenbau durchdekliniert. Seit Jahren zieht die ehedem argwöhnisch beäugte Elektronik langsam, aber unaufhaltsam auch in den Schiffbau ein. Die rechnergesteuerte Verbrennung ist der Trend, und zum Trendsetter wird der Schiffsmotorenbau gar bei der voll variablen Ventilsteuerung. Die beiden großen Hersteller Sulzer und MAN haben die ersten nockenwellenlosen Motoren in Betrieb, bei denen die Ventile einzeln hydraulisch gesteuert werden. Eine komplett elektronisch organisierte Verbrennung eröffnet nach Rulfs' Worten einen eleganten Ausweg aus dem Dieseldilemma: Befährt ein Schiff ein ökologisch sensibles Revier, drückt der Kapitän den Ökoknopf, und sauberes Abgas steigt aus dem Schornstein. Verlässt man es, wird der Sparknopf gedrückt, und der Kahn stinkt wie alle anderen.


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mare No. 39

No. 39August / September 2003

Von Burkhard Strassmann

Burkhard Straßmann ist Autor im Ressort "Wissen" der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.

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Vita Burkhard Straßmann ist Autor im Ressort "Wissen" der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.
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