Am Anfang war das Schiff

Der Hafen: ein Ort für Handel, Vergnügen und Geborgenheit

In der Tat mache ich wenig Aufhebens von den großen Seehäfen. Ich verabscheue das ganze Mauerwerk, mit dem man das Meer ausstaffiert. In diesem Labyrinth aus Dämmen, Molen, Deichen und Kais verschwindet der Ozean wie ein Pferd unter dem Harnisch… Je kleiner der Hafen, umso größer das Meer. (Victor Hugo, 1836)


Keinen Hafen – abgesehen vielleicht vom Hafen der Ehe – gäbe es ohne Schiffe. Ungleich wichtiger ist es festzustellen, dass es ohne Häfen keine Schiffe gäbe – nicht weil es des Hafens bedürfte, um ein Schiff zu schaffen, sondern weil es des Hafens bedarf, damit das Schiff sein, damit es existieren, damit es überdauern kann. In der englischen Sprache gibt es zwei Worte für diesen zweifachen Daseinsgrund des Hafens: Port (von lateinisch „portare“, fortschaffen) steht für den Transportplatz, dessen es bedarf, damit die Schiffe ihren Zweck erfüllen, ihre Fracht laden und löschen können. Harbour (Herberge; der Hafen als Einfriedung) steht für den schützenden Ort, dessen das Schiff bedarf und ohne den es dem Untergang geweiht wäre. Im Namen der dänischen Hauptstadt ist beides vereint: Kobenhavn (Kopenhagen) ist der „Kaufmannshafen“.

Am Anfang, so wird man sagen dürfen, war wohl das Schiff – nehmen wir also den Umweg über das Schiff in Kauf, um uns den verschiedenen Schutz oder Arbeitsplatz bietenden Häfen nähern zu können: Die Nahrungsbeschaffung war einer der frühesten Anlässe zum Wagnis der Schiffahrt – das Fischerboot, der Fischkutter und der Fischdampfer sind die schwimmenden Gefährte, mit denen heute die Fischerei betrieben wird. Der Fischereihafen zeichnet sich vor allem durch seinen Geruch aus. Selbst wenn kein einziger Kutter im Wasser dümpelt, selbst wenn sich keine weißen Plastikkisten zu hohen Gebirgen auf der Pier türmen, selbst wenn man sich nicht mit dem Fuß in einem zum Trocknen ausgebreiteten Netz verfängt und keine der braunroten Buden die Aufschrift „Aalräucherei“ oder „Friske Fisk“ trägt, selbst wenn in den Pfützen keine silbernen Schuppen schillern oder irgendwo in der Sonne Haufen von zerstoßenem Eis vor sich hinschmelzen – der Geruch wird ihn doch stets als das entlarven, was er ist, den Fischereihafen.

Der Transport von Waren oder Menschen stand neben der Fischerei ganz am Anfang der Geschichte der Schiffahrt und des Hafens. Für den Handel dienen uns Frachtschiffe oder Frachter, als da sind Riesentanker, gigantische Containerschiffe, klassische Stückgut- oder Massengutfrachter, elegante schneeweiße Kühlschiffe und Autotransporter, die aussehen wie schwimmende Schuhkartons. Die Handels- oder Seehäfen, die von solchen Schiffen bevorzugt angelaufen werden, haben zum Teil unvorstellbare Ausmaße, und ihr eigentlicher Charakter besteht darin, dass sie keinen eigentlichen Charakter haben. Vielmehr sind sie ganze Kosmen, autarke Welten mit Geschwadern von Schleppern, Zoll-, Lotsenversetz-, Feuerlösch- und Polizeibooten, mit Barkassen, Schuten und Tankschiffen, mit Kränen, Speichern, Schuppen und Gabelstaplern, mit Gleisanschluss, Werften, Maklern und Stauereien, mit Schiffsausrüstern, Immigrationsbaracken, Schwimm- und Trockendocks sowie Containerterminals, Pontons und Kaianlagen, mit Hafenkrankenhaus, Öllager, Reedereikontor, Seemannsheim und Tonnenhof, mit Brook, Pickhuben, Dornbusch, Plan, Steinhöft, Wandrahm, Hüxter, Stubbenhuk, Steckelhörn, Ness, Grimm, Burstah, Stintfang, Kajen, Borgesch und Cremon. Und was die Seemannsbräute angeht, sei auf Joachim Ringelnatz verwiesen: „Kuddel Daddeldu und die Kinder“. Oder auf Hans Albers: „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.

Für den Transport von Menschen dienen vorwiegend zwei Schiffstypen, die Fähre und der Passagierdampfer oder Luxusliner. Da „Titanic“ & Co. ihr Geld verdienen, indem sie unterwegs sind und nicht, damit sie irgendwo ankommen, gibt es für sie keine eigenen Häfen sondern vorwiegend Anlegeplätze wie die langen schmalen, in den Hudson hinausragenden Piers von Manhatten mit ihren großen, aber schmucklosen Abfertigungshallen. Der Fährhafen dagegen existiert real, und er kann ganz entschieden als der Hafen der Autoschlangen und der Würstchenbuden bezeichnet werden. Die Fähre ist nichts anderes als eine Fortsetzung der Straße mit anderen Mitteln, und da ist es nur logisch, dass sich der Mensch (fast) nur zusammen mit seinem Auto an Bord begibt. Um ebendies zu ermöglichen, bedarf es Rampen und Hebebühnen und anderer Verladeeinrichtungen, vor denen die Menschen in ihren Autoschlangen geduldig warten. Und wenn der Mensch wartet, dann isst er, und da er während des Wartens allzeit bereit sein muss, beim Öffnen der Schranke sein Fahrzeug auch unter Inkaufnahme von Lackschäden möglichst vor allen anderen wartenden Fahrzeugen auf die Fähre zu manövrieren, haben in Fährhäfen gute Restaurants grundsätzlich keine Überebenschance. Vielmehr muss ambulant gespiesen werden, nämlich Bratwürstchen, Hamburger, Sandwich, Tacco, Croque oder ähnliche Köstlichkeiten, und dazu eine Dose Fanta.

Auch im Rahmen kriegerischer Aktivitäten – heute sagt man dazu Landesverteidigung – muss das Schiff schon seit Urzeiten den Rumpf hinhalten. Und da beim Militär Geheimhaltung großgeschrieben wird, und da U-Boote, Fregatten, Zerstörer, Minensucher, Flugzeugträger, Torpedo- und Schnellboote im Mittelpunkt des Interesses feindlicher Mächte stehen, ist der Kriegs- oder Marinehafen der Hafen zackiger Wachablösungen, stacheldrahtbewehrten Maschendrahtzauns, mit einem Wort der Hafen als Militärischer Sicherheitsbereich. Was da der Bewachung anvertraut ist, sind graue Bordwände, hinter denen hochkomplexe elektronische Steuerungseinheiten, geniale Funk- und Schlüsselgeräte, beunruhigend effiziente Waffen und zahllose Marinesoldaten in makellos weißem Päckchen mit Matrosenkragen, auf dem Kopf das blaue Schiffchen, im Bauch bisweilen viel zuviel Bier, Dienst tun. Ansonsten sind diese Zwischenlager für schwimmendes Kriegsgerät dank des notorischen Ordnungsprimats beim Militär bar jeder Seefahrts-, Schiffs- oder Hafenatmosphäre.


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mare No. 12

No. 12Februar / März 1999

Ein Essay von Nikolaus Hansen
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