Alles Berechnung

Die endlosen Datenströme der Meeresforschung sind für die ­Wissenschaft kaum mehr zu verarbeiten. Mit den Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz hat sie nun einen übermächtigen Helfer

Wenn Arjun Chennu in Korallenriffen tauchen geht, dann hat er einen großen Apparat dabei. Mit langsamen Flossenschlägen gleitet er voran und schiebt das Gestell von der Größe eines Kaffeeautomaten vor sich her. Im Fuß des Geräts sitzt eine Kamera, die im Vorübergleiten Korallen, Schwämme, Algen und Bakterienrasen ablichtet. Chennu ist damit schon viele hundert Stunden in den Korallenriffen vor den Küsten Curaçaos, Papua-Neuguineas und Polynesiens getaucht, um Momentaufnahmen zu machen, um festzuhalten, welche Tiere und Pflanzen dort leben – und um später vergleichen zu können, ob sich die Bewohnerschaft der Riffe mit dem Klimawandel verändert. 

Die meiste Zeit aber steht der Apparat in Einzelteile zerlegt in zwei schwarzen Kunststoffkisten in Chennus Büro im Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. Denn das Tauchen ist nur ein kleiner Teil seiner Arbeit. Chennu ist Physiker. Er hat sich auf die automatische Analyse von Unterwasseraufnahmen spezialisiert. Mit seinem Tauchapparat, dem „Hyperdiver“, schieße er die Bilder, sagt Chennu. Die eigentliche Arbeit aber beginne erst, wenn sein Team wieder zurück in Bremen sei. 

Zusammen mit seinen Mitarbeitern arbeitet er an Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI), die in Bildsequenzen Korallen, Schwämme und andere Lebewesen mit hoher Trefferquote identifizieren. Am Ende entstehen daraus Karten, auf denen die Riffe mitsamt ihren Bewohnern dargestellt sind. „Natürlich gibt es erfahrene Biologen, die die verschiedenen Arten bestimmen können – doch dauert diese Bildanalyse von Hand extrem lange. Zudem muss man verschiedene Fachleute zusammenholen, die auf die verschiedenen Tier- und Pflanzengruppen spezialisiert sind“, sagt Chennu. „Weltweit sind bis heute weniger als ein Prozent der Riffe überhaupt kartiert. Wir kennen also noch nicht einmal den aktuellen Zustand der Riffe. Wie wollen wir dann einschätzen, wie sich die Situation in den kommenden Jahren verändert?“ KI könne die Bestimmungsarbeit mehr als 1000-mal schneller machen, sagt er, und helfen, die Korallenriffe regelmäßig zu kontrollieren. 

Chennus Arbeit beginnt mit den Aufnahmen im Korallenriff. Der Hyperdiver lichtet die Riffe mit einer Hyperspektralkamera ab. Anders als herkömmliche Kameras nimmt sie nicht nur rotes, grünes und blaues Licht wahr, sondern alle Wellenlängen des Lichts, quasi alle Farben des Regenbogens – und noch dazu infrarotes und ultraviolettes Licht, das Menschen gar nicht sehen können. Viele Lebewesen im Riff erscheinen im roten, grünen und blauen Licht betrachtet eher farblos, leuchten aber beispielsweise im ultravioletten Licht hell auf. Das hilft dem Computer, die verschiedenen Arten voneinander zu unterscheiden.  

Für ihre Analysen setzen die Bremer Rechenverfahren des „Maschinellen Lernens“ ein, die stets nach einem ähnlichen Muster arbeiten. Im ersten Schritt werden sie trainiert. Dazu füttert man den Computer mit Bildern und teilt ihm zugleich mit, was darauf zu sehen ist – etwa eine bestimmte Korallen- oder Schwammart. Dafür sind Hunderte von Aufnahmen nötig, die das Objekt aus verschiedenen Winkeln und bei unterschiedlichen Belichtungen zeigen. So lernt das Rechenverfahren das Objekt immer besser kennen. Ist das Training beendet, gibt man Bilder ein, ohne zu verraten, was darauf zu sehen ist. Erkennt der Computer die Bilder, war das Training erfolgreich. Liegt er falsch, muss weiter trainiert werden. 

Der wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Maschine besteht darin, dass der Mensch ein erlerntes Objekt wie zum Beispiel einen Hai auf einem Foto sehr leicht wiedererkennt – selbst wenn das Objekt schlecht belichtet oder nur ein Teil davon zu sehen ist. Einem Computer hingegen erscheint ein Bild zunächst als chaotische Wolke aus vielen unterschiedlich gefärbten Pixeln. Alle diese Pixel muss der Computer einem Objekt zuordnen. Das wird zur Herausforderung, wenn in einem Riff Korallen, Schwämme oder Algen dicht an dicht sitzen. Chennu entwickelt deshalb auch Rechenverfahren, die jedes Pixel auf Plausibilität prüfen und so die Ergebnisse der Bildanalyse automatisch bewerten. Nur so können am Ende naturgetreue Karten der Riffe entstehen. 

Bis heute werden Korallenriffe kartiert, indem Taucher ein Maßband quer hindurchlegen und entlang dieses Bands Foto um Foto schießen. Anschließend werten Biologen die Bilder aus. Doch erfassen sie damit nur einen winzigen Teil eines Riffs. Zudem dauert diese Arbeit Wochen oder gar Monate. 


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mare No. 162

mare No. 162Februar / März 2024

Von Tim Schröder und Jörn Kaspuhl

Als Zoologe weiß Tim Schröder, Jahrgang 1970, Autor in Oldenburg, gut, wie mühsam das Auszählen von Planktonorganismen ist. „Schade, dass es die KI dafür in meiner Studienzeit noch nicht gab“, sagt er.

Jörn Kaspuhl, geboren 1980, Illustrator in Hamburg, glaubt, dass die KI seinen Beruf verändern wird. Angst, als Illustrator bald überflüssig zu werden, verspürt er aber nicht, eher „eine gewisse Neugier“.

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Vita

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