Abalonebarone

Kapstadts Polizei kämpft gegen ein Multimillionengeschäft: den illegalen Handel mit einer schmackhaften Schnecke

Dies ist die Geschichte von einem globalisierten Multimillionengeschäft, von kriminellen Schmugglerbanden, steinreichen Gangsterbossen und armen Fischerdörfern, von Kapstadt und von enttäuschten Hoffnungen im neuen Südafrika. Es ist eine Geschichte über die unstillbare Gier nach einer Schnecke. Die Briten haben sie abalone getauft, die Buren in Südafrika gaben ihr den Namen perlemoen, wir nennen sie Seeohren. Eine begehrte Delikatesse, vor allem in China, wo sie in Pulverform als Aphrodisiakum gehandelt und gerne bei Hochzeiten verschenkt wird. Auch die Japaner schätzen die Schnecke sehr, sie essen sie bevorzugt als Sashimi.

„Ah, Sir, Sie haben exzellent gewählt!“, schmeichelt der Oberkellner im Hotel „Cape Grace“ an der Kapstädter Waterfront. „Carpaccio von perlemoen, das Allerköstlichste auf der Speisekarte!“ Er erzählt, dass die kleinste Bestellung des Küchenmeisters akribisch dokumentiert werden müsse und dass bei der Anlieferung der Ware Sicherheitsvorkehrungen getroffen würden wie bei einem Goldtransport der Bank of England.

Schon bald wird das Allerköstlichste aufgetragen: eine Vogelportion blassbrauner Würfelchen. Gleich nach der ersten Gabel fragt man sich, warum diese seltsame Molluske beim Krönungsmahl für Königin Elizabeth II. anno 1953 als Vorspeise gereicht wurde. Und warum Nelson Mandela perlemoen als „Leckerei“ preist, obwohl er sie auf der Gefängnisinsel Robben Island essen musste, 19 Jahre lang, fast jeden Tag. Rohe Seeohren schmecken nämlich wie fein gehackte Gummistiefel.

Die Schnecke aus der Familie der Haliotidae, die rund 70 Mitglieder zählt und in fast allen warmen Meeren heimisch ist, kann bis zu zwei Kilogramm schwer und 30 Jahre alt werden. Der südafrikanische Staat beschloss 1970, die kommerzielle Nutzung dieser Weichtiere zu regulieren, und führte Fangquoten ein. Wer damals keinen Anteil bekam, bediente sich im Supermarkt der Natur eben selbst. In den neunziger Jahren ist das illegale Geschäft explodiert. Das wiederum hängt mit dem Untergang der Apartheid zusammen. Südafrika war von 1994 an ein demokratisches Land, es kehrte nach jahrzehntelanger Ächtung zurück in die Völkerfamilie und öffnete sich dem Weltmarkt. Mit dem globalen Handel kam auch das globale Verbrechen ins Land, nigerianische Drogendealer, ukrainische Waffenschieber. Und chinesische Triaden, die im fernen Osten ein höchst lukratives Business mit Seeohren betreiben.

Zugleich wuchsen die Erwartungen im Abalone-Küstenstreifen zwischen Kapstadt und Port Elizabeth. Vor allem die so genannten coloureds, die farbige Arbeiterklasse, die verarmten Fischerfamilien in den Küstenstädtchen, rechneten mit einer längst überfälligen Umverteilung – jeder, nicht nur weiße Berufsfischer, sollte fortan freien Zugang zu den Meeresressourcen haben. Sie wurden enttäuscht. Der Staat lockerte zwar die Vergabe von Lizenzen, hielt aber an einem strikten Kontrollsystem fest. Ohnehin schien das Geschäft auf dem Schwarzmarkt mittlerweile einträglicher. Mit dem Anwachsen der chinesischen Mittelschicht infolge des Wirtschaftsbooms überstieg die Nachfrage nach Seeohren das legale Angebot. Plötzlich verwandelten sich ganze Küstengemeinden in Plündererkollektive, und verschnarchte Nester wie Gansbaai oder Hawston waren auf einmal mit der Weltmetropole Hongkong verbunden.

Der Jahresumsatz der Schneckensyndikate wird auf einen dreistelligen Euro-Millionenbetrag geschätzt. Bis zu 400 Rand, rund 50 Euro, erhält ein Taucher an der südafrikanischen Küste für das Kilogramm Seeohren, fast vier Mal so viel bringt es auf den Schwarzmärkten in Fernost. Den Zwischenhandel kontrollieren die Besitzer der doppelstöckigen Bauten, die protzig die ärmlichen Häuschen der Fischersiedlungen überragen. Es sind die Bosse der Schmugglerbanden.

Will man mehr über sie wissen, muss man in den Knast, am besten in das Hochsicherheitsgefängnis von Pollsmore. Hier sitzen einige „28er“ ein, Mitglieder der berüchtigten Nummerngang, die mit Waffen, Rauschgift, Prostituierten, Schutzlizenzen, Taxirouten und diversen illegalen Naturgütern handelt. Auf ihrer Brust ist als Erkennungszeichen eine untergehende Sonne tätowiert. Von ihnen erfährt man, wie man sich vom Kleindealer zum Abalonebaron hocharbeitet. Und warum manchmal tote Chinesen im Hafen von Kapstadt schwimmen, die gegen die Gesetze ihrer Syndikate verstoßen haben. Und wie ein barter trade funktioniert, ein Tauschgeschäft: Mandrax-Tabletten aus Hongkong gegen Seeohren aus Kapstadt. Natürlich hört man auch die gesammelten Heldensagen über den legendären Ernest Solomons, genannt Lastig, zu deutsch: lästig. Er trägt diesen Spitznamen, weil er als führender „28er“ und einer der mächtigsten Gangsterbosse am Kap zahlreiche Zeitgenossen malträtiert hat – er wurde mehrfach angeklagt wegen Mord, Raub und Entführung, aber stets zog er seinen Kopf aus der Schlinge.

2001, während des Bandenkriegs in und um Hawston, wurde er wieder einmal verhaftet. Eine Schlacht um Seeohren war seinerzeit ausgebrochen, mit Feuergefechten und nächtlichen Ausgangssperren, mit Toten und Verwundeten. Solomons, der General, kommandierte damals die Rooidakkies, eine der ruchlosesten Gangs an der Ostküste. Einmal wurde sogar die örtliche Polizeiwache mit Steinen bombardiert. Man musste Verstärkung einfliegen, per Hubschrauber, aus dem Hauptquartier der „Operation Neptune“ in Gansbaai.

Das Sonderkommando unter dem Namen des römischen Meeresgottes wurde für den Kampf gegen Biopiraten aufgebaut. „Die Lage war ernst. Es gab Schießereien wie im Wilden Westen“, erinnert sich Horst Kleinschmidt, der Ex-Chef von „Operation Neptune“. Unter seiner Ägide konnten fünf Abalonekartelle ausgeschaltet werden. Aber es gibt noch mehr als 20, und an die dicken Fische kam auch Kleinschmidt nicht heran. „Ein Richter gestand mir, dass man die Paten nur nach der Al-Capone-Methode kriegen könne: nicht für Mord, sondern für Steuerhinterziehung.“

Im Rekordjahr 2002 konfiszierte die Polizei erstmals mehr Schnecken, als kommerzielle Fischereifirmen auf legale Weise ernteten: eine Million Stück. Im selben Jahr wurde Ernest Solomons beinahe abgestochen. Der Messerkampf fand vor der Polizeihauptwache in Hermanus statt, gleich neben dem weiß-blauen Container, in dem das Umweltgericht tagt; es befasst sich fast ausschließlich mit Abalonefällen. Hunderte Strafverfahren laufen gegen Taucher und Schmuggler. Aber Salomons kriegen sie nicht. Was auch daran liegen mag, dass in den Küstendörfern eine Art der italienischen omertà gilt, ein eisernes Schweigegesetz. Väter und Mütter decken die kriminellen Umtriebe, schließlich sind oft die eigenen Söhne verwickelt.


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mare No. 52

No. 52Oktober / November 2005

Von Bartholomäus Grill

Bartholomäus Grill, Jahrgang 1954, ist Afrika-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Seinen Kombüsen-Tipp aus mare No. 32 nimmt er zurück, denn damals wurden ihm vermutlich gewilderte Seeohren serviert. Bei einer Razzia im „Panama Jack’s“ waren illegal erworbene Schnecken konfisziert und der Besitzer festgenommen worden.

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Vita Bartholomäus Grill, Jahrgang 1954, ist Afrika-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Seinen Kombüsen-Tipp aus mare No. 32 nimmt er zurück, denn damals wurden ihm vermutlich gewilderte Seeohren serviert. Bei einer Razzia im „Panama Jack’s“ waren illegal erworbene Schnecken konfisziert und der Besitzer festgenommen worden.
Person Von Bartholomäus Grill
Vita Bartholomäus Grill, Jahrgang 1954, ist Afrika-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Seinen Kombüsen-Tipp aus mare No. 32 nimmt er zurück, denn damals wurden ihm vermutlich gewilderte Seeohren serviert. Bei einer Razzia im „Panama Jack’s“ waren illegal erworbene Schnecken konfisziert und der Besitzer festgenommen worden.
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