25°04' Süd, 130°06' West - Folge 33

Mit einem Erdstoß in der Stärke von 4,1 auf der Richterskala wurden die Pitcairner vor einiger Zeit abends um kurz nach acht geschüttelt. Das Epizentrum lag nur 41 Kilometer südwestlich. Die Fernanalyse der Seismologin Valerie Peyton aus Albuquerque in New Mexico ergab: Das Beben war vulkanisch, keine tektonische Spalte tut sich unter Pitcairn auf und droht, die Insel zu verschlingen. Dafür wurde sie wochenlang von kleinen Stößen behelligt, die meist unbemerkt blieben. Noch nicht lange ist Pitcairn an ein weltweites Erdbebenwarnsystem angeschlossen.

War all das ein Vorbeben für ganz andere Erschütterungen? Zwei neue Ordnungshüter aus England sind zu ihrem mehrmonatigen „Schichtdienst“ angekommen. Die langfristige britische Polizeipräsenz hängt zusammen mit den Ermittlungen wegen langjährigen sexuellen Verkehrs mit Minderjährigen auf der Insel. Sie könnten demnächst zu einem Prozess gegen mehrere Pitcairner führen. Bürgermeister Steve Christian hat sich auf der UN-Südpazifikkonferenz offiziell über die Anwesenheit der Polizisten beklagt und erklärt, die Ermittlungen spalteten die Inselgesellschaft. Er bestätigte, dass auf der Insel inzwischen der Bau eines neuen Gefängnisses sowie die Renovierung des Gerichtssaals und des Regierungsgästehauses begonnen hätten. Klage führte er auch darüber, dass London seine Kolonie zunehmend vernachlässige und Projekte wegen des drohenden Prozesses verschiebe.

Frauen und Kinder an die Maschinen! Die Bevölkerung schrumpft, und demgemäß stehen immer weniger junge Männer zum Steuern der Boote zur Verfügung. So müssen nun auch jene ran, die sonst nur als Passagiere mitfahren. An- und Ablegen, Steuern, Grundkenntnisse des Motors und vor allem das gute Timing für den Rutsch mit den Zwölf-Meter-Booten auf einer Brandungswelle hinein zum kleinen Bootsanleger, all das müssen nun auch die 14-Jährigen sowie die weiblichen Pitcairner beherrschen. Die Fahrt hinaus zu den draußen ankernden Versorgungsschiffen ist schließlich lebenswichtig.

Kik Kik Quintal ist für ein paar Wochen auf der Insel, ein namhafter Besuch. Matthew Quintal, sein Urururgroßvater, war jener Meuterer, der die „Bounty“ wenige Wochen, nachdem sie angekommen waren, in Brand steckte. Alle Beteiligten debattierten damals über diesen Schritt, doch Quintal schuf Tatsachen. Vorbeifahrende Schiffe sollten nicht auf die Galgenvögel aufmerksam werden. Und es sollte sich auch niemand absetzen und das Versteck verraten. Kik Kik wohnt bei Meraldas Familie. Er lebt auf Norfolk Island bei Australien, Wohnsitz vieler Nachfahren der Meuterer. 1856 nämlich siedelte England die Bevölkerung Pitcairns dorthin um, doch viele Familien kehrten wieder zurück.

Ein Doppelunfall – ganz oben und ganz unten: Der Pastor erlitt einen Sehnenriss auf der Wanderung hinauf zu Christian’s Cave, jener Höhle, die Meutererchef Fletcher Christian bevorzugte, um aufs Meer hinauszuschauen und über sein Leben nachzudenken. Der Weg entlang des Gebirgszugs The Ridge ist eben nicht ungefährlich. Auch der Weg – besser gesagt: die Kletterpartie – zum einzigen Strand hinunter nach Down Rope hat es in sich. Julie Christian, ein weiterer Besuch aus Norfolk Island, stürzte und blutete so sehr, dass zunächst Brenda ihre Shorts zum Abbinden hergeben musste und Julie anschließend die Steilwand hinaufgeschleppt wurde. Bis in die kleine Krankenstation im Dorf. Dort wartete schon ein dritter Besucher aus Norfolk Island: Julies Hausarzt, der zufällig auf Pitcairn weilte; er konnte sie mit 19 Stichen nähen. Normalerweise gibt es auf Pitcairn nur eine Krankenschwester. Down Rope heißt die Stelle übrigens, weil bis vor ein paar Jahrzehnten hier ein Seil als Abstiegshilfe hing.

mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.
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