25°04' Süd, 130°06' West - Folge 28

Traurige Nachricht: Millie Christian, mit 93 Jahren die älteste Pitcairnerin, ist gestorben. Sie hat sich nicht mehr von den Brüchen ihrer Hüfte und Schulter erholt, die sie sich bei einem Sturz aus dem Bett drei Wochen zuvor zugezogen hatte. Millie hinterlässt Ehemann Warren (86) und Tochter Betty (57).

Nach längerem Hin und Her hatte man sich auf das Thema des diesjährigen Schulfestes geeinigt: Harry Potter. Ein bisschen gruselig ging es zu bei dem kompletten „Licht aus“, um die Zauberatmosphäre richtig anzuheizen. Umso greller war hinterher das große Lagerfeuer. „Wenn irgendwo am Horizont ein Schiff gewesen wäre, wäre es von dem hellen Schein sicherlich unweigerlich angezogen worden“, kommentierte der „Miscellany“.

Noch einen Grund gab es für eine große Party: Mike Lupton und Brenda Lupton-Christian mit ihrem Sohn Andrew können ihr neues Haus beziehen. Erst vor zwei Jahren waren sie aus Großbritannien hergezogen. Brenda ist als Kind auf der Insel aufgewachsen. Nicht einmal zwei Wochen hat der Bau gedauert: Betonfundament, Wände, Dach und fertig. Alle Adamstowner halfen mit. Dabei sind die Gebäude auf der Insel riesig, weil die Regierung in London den Bau subventioniert. In letzter Zeit fließen die Zuschüsse allerdings nicht mehr so reichlich wie noch vor zwei, drei Jahren.

Was auch bei dem Hausbau deutlich wurde: Leider sind zurzeit nicht mehr so viele kräftige Männer auf der Insel. Der Gemeinderat hat schon angekündigt, auf einer der nächsten Sitzungen darüber zu befinden, ob auch die Frauen die Langboote bedienen dürfen. Bislang wurden sie dazu nicht angelernt. Dabei ist dies eine existenzielle Frage, sind die Boote doch die einzige Verbindung zur Außenwelt: Die Versorgungsschiffe können nicht anlegen, sondern müssen meilenweit vor der Insel ankern.

Der Männermangel war vorübergehend noch eklatanter. Tom Christian musste wegen akuter Herzprobleme nach Neuseeland gebracht werden – auf einem Frachtschiff, dessen Kapitän man eigens per Funk zu einem Umweg über Pitcairn gebeten hatte. Tom, der hin und wieder als Pastor in der Kirche einspringt, war von der Herzattacke beim Gottesdienst überrascht worden. Inzwischen ist er wieder zurückgekehrt.

Nicht so Rob, der Lehrer, der denselben Frachter nach Neuseeland besteigen musste. Er war beim Fischen – der Lieblingsbeschäftigung der Pitcairner – von einem Felsen gestürzt, wobei er sich drei Rippen brach. Für ihn musste inzwischen ein Ersatzschulmeister in Auckland angefordert werden.

Dunkle Wolken drohen von fern über dem Horizont aus Richtung Neuseeland. Zusätzlich zur Finanznot, die das Leben hier und da erschwert, drohen nun auch gesellschaftliche Verwerfungen. Nachdem vor Monaten ein Pitcairner mit dem Vorwurf von sexueller Belästigung eines heranwachsenden Mädchens konfrontiert wurde, ist nun die Staatsanwaltschaft in Neuseeland eingeschaltet. Das Mutterland Großbritannien hat die Strafjustiz an das Commonwealth-Land delegiert. Seit langem hatte sie allerdings keinen Fall zu bearbeiten. Britische und neuseeländische Zeitungen berichten nun davon, dass es in den letzten Jahrzehnten mehrere ähnliche Fälle gegeben habe, in die auch andere Männer der Insel verwickelt gewesen sein sollen. Die Strafverfolger prüfen nun, ob sie Anklage erheben und, wenn ja, wo: in Auckland oder auf der Insel. Allerdings wird auch nicht ausgeschlossen, das Verfahren einzustellen, die Männer Pitcairns quasi kollektiv unter Bewährung zu stellen und erst im Wiederholungsfall einzuschreiten. Träte dieser ein, so wäre allerdings die Zukunft der Insel ernsthaft gefährdet.

mare No. 28

No. 28Oktober / November 2001

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, war Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt.

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