100 Wasser sind 1 Meer

Ein Boot als Botschaft. Der Künstler Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser und sein Schiff

Ein kleiner Junge hockt staunend am Meer und sieht Singende Dampfer. Rauchsäulen steigen senkrecht aus deren Schornsteinen gen Himmel. Überdimensionale Bullaugen blinzeln ihm zu aus der Ferne und verschwimmen zuweilen hinter aufsteigendem Rauch. Die Dampferversammlung pfeift und flüstert, singt vom Aufbruch in eine unbekannte Welt.

In kindlicher Verspieltheit und in Badehose mischt er Meerwasser zum Strandsand und backt und gräbt und klopft. Burgwand mit Seitendeck und Kommandobrücke. Der Sommerferiensand Dalmatiens ermöglicht abenteuerlichere Schöpfungen als der im Wiener Sandkasten. Dabei schadet es nicht, dass anspruchsvollere Elemente wie Sandschornsteinpfeiler nicht gelingen wollen. Sein Treibstoff ist die Fantasie. Niemand weiß es, aber er hat sich eingeschifft, auf eigenem Kiel. Langsam, über die Dauer eines Sommertags, wandelt sich seine Sandburg zu einem Schiff aus Sand, das ausläuft zu einer endlos langen Reise.

Mit Augen, die sich zeitlebens die kindliche Perspektive bewahren werden, entdeckt er Pazifikdampfer und Gelbe Schiffe im Meer von Tunis und Taormina. Sie verfolgen den Wassertropfenzähler bis zum Wasserende am Dach. Und er malt, farbenfroh und mit großer imaginärer Autonomie, Kolumbus Regentag in Indien, Regentag auf Liebe Wellen, Der Regen ist mit Gras gefüllt, Zwei Bäume an Bord Regentag, Die letzten Tropfen oder Regen auf Regentag.

Es ist nass in der Welt des Künstlers Friedensreich Hundertwasser, dem solch poesie- und wassertrunkene Bildtitel mühelos entsprangen. Sein Schiff aus Sand verspülte noch am Schöpfungstag. Wesentlich langlebiger rangiert es jedoch seither im später gewissenhaft geführten Werkverzeichnis als die Nummer eins, sein erstes Kunstwerk.

In Hundertwassers Bildern wie auf seinem Land hoch im Norden Neuseelands tropft und tränt es so reichlich, als schiene die Ankunft der Sintflut nur eine Frage der Zeit. Schon den dritten Tag in Folge schüttet Nässe über immergrüne Baumwipfel, zahllose Bäche und Täler, übers Klimt- und Schiele-Tal und den Böcklin-Teich. In dieser „fluiduiden“ Welt, das spürt man, „sehnt sich das Wasser nach dem Land und das Land nach dem Wasser“.

Hier, in Kaurinui, lebte er einsichtsvoll, sich selbst treu und voller Fantasie die Botschaft seiner Kunst und schwenkte dabei immer wieder in Richtung Ozean. Obschon sein Name Ozeanisches verspricht – hundert Wasser sind ein Meer –, assoziieren wir Hundertwasser eher mit bunter Spiralenkunst, Grasdacharchitektur, Bäumen und Erdigkeit. Nicht mit Meer oder gar einem Boot, benannt nach einem Tag wie diesem: der „Regentag“.

Aus dem drei Meter breiten Hundertwasser-Kanal ebbt es. Im Zwölf-Stunden-Rhythmus zieht das ein paar Meilen entfernte Meer alle Wasserpartikel zu sich. Silberpappeln, morsche Pungapalmen und dicht gestaffelte Farngräser längs des Kanalufers bleiben zurück. Der Ebbstrom windet sich durch dämmrige Mangrovenwälder, aus denen Einzelexemplare wie Gnome hüpfen. Von der Tide freigelegt, trinken tausend Strohhalmwurzeln puren Regen – oder atmen wieder Luft. In spiralenhaft angelegten Rundungen geht es entlang trockengefallenen Schlammbänken mit watenden Vögeln. Dann erzwingt ein Austernfeld einen Bogen, und plötzlich kommt sie in Sicht, allein auf weiter Flur, die „Regentag“, ein in die Jahre gekommener Paradiesvogel, der sein Ziel erreicht hat.

Den einst farbenfrohen Rumpf kleidet jetzt eine unbestrichene Zementhaut, über die Moosflechten und der Regen Streifenmuster ziehen wie Pinsel über eine Leinwand. Dabei erinnert die „Regentag“ an einen Kahn, der die ältesten Setzlinge der 60000 Bäume gebracht haben könnte, die Hundertwasser hier seit Beginn der siebziger Jahre auf seinen 450 Hektar pflanzte. Zumindest bedarf es einiger Vorstellungskraft, um in ihr italienisches Erbgut zu entdecken. Denn in ihrem ersten Leben hieß die hölzerne „Regentag“ „San Guiseppe T“, und ihr Heimathafen war Palermo. 60 Dienstjahre im Salz-und-Sand-Gewerbe zwischen Nordafrika und Marseille.

Warum ein Nomade wie Hundertwasser gerade in diesem Lastkahn das Schiff fürs Leben fand, lässt sich nur mutmaßen. Vermutlich, weil die „San Guiseppe T“, wie seine Kunst, der modernen Schönheit der klaren Linie entsagte und damit dem Mittelalter näher als der Moderne stand.


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mare No. 45

No. 45August / September 2004

Von Thies Matzen

Thies Matzen und seine Frau segeln seit vielen Jahren auf der „Wanderer III“ um die Welt. Während eines längeren Aufenthalts in Neuseeland arbeitete seine Frau bei Friedensreich Hundertwasser.

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Vita Thies Matzen und seine Frau segeln seit vielen Jahren auf der „Wanderer III“ um die Welt. Während eines längeren Aufenthalts in Neuseeland arbeitete seine Frau bei Friedensreich Hundertwasser.
Person Von Thies Matzen
Vita Thies Matzen und seine Frau segeln seit vielen Jahren auf der „Wanderer III“ um die Welt. Während eines längeren Aufenthalts in Neuseeland arbeitete seine Frau bei Friedensreich Hundertwasser.
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