Der Strand der Dschungeltiere

An einer Küste im Süden Gabuns sieht man keine Menschen, sondern nur Tiere: Elefanten, Büffel, Pinsel­ohrschweine, Antilopen, Affen, Krokodile, Flusspferde. ­Warum bloß kommen die Dschungeltiere, die sonst nie ans und ins Meer gehen, ausgerechnet hierher?

Das Wort Paradies ist reichlich abgenutzt. In unserem Kulturkreis wird es inflationär ­verwendet. Man träumt nur allzu gern vom Insel­paradies, shoppt im Einkaufsparadies und spart im Steuerparadies. Schon die Bibel hat sich mit der Frage befasst: Was ist eigentlich das Paradies? Im Alten Testament ist es eine Stätte des Friedens und des immerwährenden Glücks. Vor dem Sündenfall lebten Adam und Eva dort im Garten Eden. Nach neutestamentlicher Vorstellung bezeichnet es das Jenseits, das nach dem Tod auf den Mensch wartet. Dort leben Mensch und Tier in Eintracht. Im Volksmund versteht man unter Paradies heute eine Wildnis ohne menschliche Einflüsse.

An der Küste des zentralafrikanischen Staats Gabun gibt es einen Ort, der dieser Vorstellung sehr nahekommt. Dort umschmeicheln die Wellen des Atlantiks sanft einen 80 Kilo­meter langen Sandstrand im Süden des Lands. Obwohl der Sand nicht feiner sein könnte, die Buchten nicht schöner, ist hier so gut wie nie ein Mensch zu sehen. Im Hintergrund erheben sich bis zu 
50 Meter hoch die Urwaldriesen des Kongobeckens, zu ihren Füßen ein duftender Garten Eden mit Blüten, Farnen und exotischen Pflanzen. Kurz: ein Ort, wie ihn sich der Schöpfer bei der Schöpfung vorgestellt haben muss.

Der Loango-Nationalpark ist einer der letzten Orte Afrikas, wo unberührter Urwald bis ans Meer reicht. Tausende Pfade ­führen wie von Geisterhand gezogen durch den Regenwald an den Strand. Sie stammen von Waldelefanten, Rotbüffeln, Pinselohrschweinen, Gelbrückenduckern, Sumpfantilopen, Flachlandgorillas, Schimpansen und sogar von Flusspferden. Die frische Brandung und die salzige Seeluft scheinen die Waldbewohner anzulocken. Sie genießen die entspannte Strandatmosphäre. Doch die Tiere machen hier keinen Urlaub.

Auf einer Anhöhe oberhalb eines Strandabschnitts, den die Einheimischen Petit Loango nennen, steht ein Elefant unter den Palmen und äst. Es ist ein Tag im Dezember. Regenzeit. Mehr als 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, das Salz liegt wie ein Film auf der Haut. Es duftet nach Meer. Auf einmal betritt der Bulle den Strand und schreitet gen Meer. Er hebt den Rüssel, riecht, wittert, prüft die salzige Luft. Doch kurz vor dem Wasser dreht er ab und schreitet einige Meter südwärts, um sich an einem der Ibogasträucher am Strand gütlich zu tun.

Zwischen Dezember und März werden nicht nur die winzigen orangefarbenen Beeren des Ibogastrauchs reif, sondern auch die Früchte der Manilkara- und Pentadesmabäume. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die Tiere hierherkommen. Es sind verlockend duftende Mineralien, alle gebunden im Meersalz, die für viele der Tierbewegungen verantwortlich sind. Sämtliche Blätter und Früchte am Strand sind mit einem hauchdünnen Salzfilm überzogen. Die Gischt überzieht die gesamte Vegetation mit wertvollen Mineralien, die sich die Tiere sonst mühsam von den Waldlichtungen holen müssten.

„Elefanten lieben die darin enthaltenen Inhaltsstoffe“, sagt Antoine Dibata. „Sie benötigen die Salze und Mineralien zum besseren Verdauen der tanninhaltigen Blätter und Früchte. Während sie sich die Mineralien sonst aus Lichtungen im Kongo­becken holen müssen, bekommen sie sie hier einfach am Strand serviert.“ Dibata kennt die heimische Tierwelt, seit er auf der Welt ist. Der 38-Jährige wurde in der gut 25 Kilometer vom Park entfernten Kleinstadt Omboué geboren. Er ist in der Region auf­gewachsen. Mehr als ein Jahrzehnt hat er im Park für die US-amerikanische Wildlife Conservation Society (WCS) und auch für die Max-Planck-Gesellschaft gearbeitet – mit quasi allen gro­ßen Säugetieren des Walds: Elefanten, Gorillas, Schimpansen.

Der Loango-Nationalpark ist eine Märchenlandschaft aus Flüssen, Bächen und Mangroven. Seine Strände gehören zu den wenigen auf dem Kontinent, zu denen Großsäugetiere noch Zugang zum Ozean haben. Herden von Rotbüffeln streifen durch die Küstenwälder. Pinselohrschweine kommen an den Strand, um Geisterkrabben auszugraben. Krokodile dösen am Morgen auf den Sandbänken, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Am Mittag kühlen sie sich im Atlantik ab. Es kommt sogar vor, dass man Gorillas unter den Palmen sieht. Ein Team des Instituts für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück um den Biologen Tobias Deschner, der seit 2014 im Park forscht, hat wiederholt auch Schimpansen dabei beobachtet, wie sie die reifen Früchte des Kokospflaumenstrauchs und Manilkarabaums am Strand ernten und die jungen Wurzeltriebe der Mangrovenbäume essen, die reich an Mineralien sind. „Höchstwahrscheinlich spielt das Salz auch für Schimpansen eine Rolle“, sagt Deschner. 

Die Strände sind auch ein wichtiger Lebensraum für Wasservögel. Seidenreiher, Küstenreiher und Goliathreiher staksen durch das salzhaltige Wasser der Lagunen. Eisvögel erobern ihre Beute im Sturzflug. Wollhalsstörche suchen den Strand nach kleinen Schildkröten und Fröschen ab, Schlangenhalsvögel ­lauern in den Lagunen auf der Suche nach Fischen. In den Mangroven sehen wir Weißnasenmeerkatzen, Blaumaulmeerkatzen, Grauwangenmangaben und Halsbandmangaben auf den riesi­gen Baumwurzeln herumturnen. Die Halsbandmangaben fangen ­kleine Krebse und knacken ihre Panzer mit den Zähnen, um an das eiweißhaltige Fleisch zu gelangen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 163. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 163

mare No. 163April / Mai 2024

Von Fabian von Poser und Cyril Ruoso

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Journalist aus München, hat in den ­Jahren nicht nur auf den Ozeanen der Welt recherchiert, sondern ­wiederholt auch im Kongobecken. Was ihn am Strand der Dschungeltiere so ­faszinierte, war die Verschmelzung zweier Lebensräume. „Alles auf diesem ­Planeten hängt mit allem anderen zusammen“, sagt der Autor.

Für Cyril Ruoso, geboren 1970, mehrfach prämierter Wildtierfotograf mit Sitz im französischen Burgund, ist der Loango-Nationalpark ein neuer Lieblingsort auf der Erde. „Ich werde nie den Moment vergessen, als unser Guide einen ­drohenden Elefanten­angriff vereitelte, indem er einfach seine Arme ausbreitete.“

Mehr Informationen
Vita

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Journalist aus München, hat in den ­Jahren nicht nur auf den Ozeanen der Welt recherchiert, sondern ­wiederholt auch im Kongobecken. Was ihn am Strand der Dschungeltiere so ­faszinierte, war die Verschmelzung zweier Lebensräume. „Alles auf diesem ­Planeten hängt mit allem anderen zusammen“, sagt der Autor.

Für Cyril Ruoso, geboren 1970, mehrfach prämierter Wildtierfotograf mit Sitz im französischen Burgund, ist der Loango-Nationalpark ein neuer Lieblingsort auf der Erde. „Ich werde nie den Moment vergessen, als unser Guide einen ­drohenden Elefanten­angriff vereitelte, indem er einfach seine Arme ausbreitete.“

Person Von Fabian von Poser und Cyril Ruoso
Vita

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Journalist aus München, hat in den ­Jahren nicht nur auf den Ozeanen der Welt recherchiert, sondern ­wiederholt auch im Kongobecken. Was ihn am Strand der Dschungeltiere so ­faszinierte, war die Verschmelzung zweier Lebensräume. „Alles auf diesem ­Planeten hängt mit allem anderen zusammen“, sagt der Autor.

Für Cyril Ruoso, geboren 1970, mehrfach prämierter Wildtierfotograf mit Sitz im französischen Burgund, ist der Loango-Nationalpark ein neuer Lieblingsort auf der Erde. „Ich werde nie den Moment vergessen, als unser Guide einen ­drohenden Elefanten­angriff vereitelte, indem er einfach seine Arme ausbreitete.“

Person Von Fabian von Poser und Cyril Ruoso