Blaues Telefon

Das Blaue Telefon

Ihre maritimen Fragen können Sie per Telefon (0800/2182182, gebührenfrei) oder per E-Mail (wat@mare.de) stellen. Es antworten Ihnen Mitarbeiter von Marum – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen.

Wer hat auf dem Wasser Vorfahrt?

Arno Fischer, per E-Mail

Wer von rechts kommt, darf zuerst fahren, die anderen müssen warten: Im Straßenverkehr sind Verkehrsregeln eine klare Sache, und dann gibt es ja auch noch die Schilder, an denen sich Fußgänger, Radler und Autofahrer orientieren können. Auf See ist das anders – dafür gelten international die sogenannten Kollisionsverhütungsregeln, die 1972 von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) festgelegt wurden. Kommen sich zwei Fahrzeuge entgegen, müssen beide nach steuerbord, also nach rechts ausweichen. Kreuzen sich die Kurse, heißt es wie auf der Straße: rechts vor links. Möchte ein Boot oder ein Schiff überholen, muss der Kapitän dabei seitlich genug Abstand halten und darf den Kollegen nicht behindern. Diese drei Fälle gelten für Wasserfahrzeuge mit Motor. Besondere Vorschriften gibt es etwa für manövrierunfähige Fahrzeuge bei Maschinenschaden oder für fischende Fischereischiffe, die immer Vorfahrt haben – Letztere übrigens auch vor Seglern. Für diese gilt ansonsten: Segel vor Motor, das bedeutet, dass das motorbetriebene Fahrzeug warten muss. Unter Seglern gibt es zwei Möglichkeiten: In gleicher Fahrtrichtung hat derjenige Vorfahrt, dessen Segel näher am Wind ist. Das heißt: Das luvwärtige Boot muss ausweichen. Ansonsten gilt: Wer den Wind von Steuerbord hat, behält den Kurs.

Ist die Hohe See ein rechtsfreier Raum?

Inge Pfaff, per E-Mail

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (Unclos) sieht die Freiheit der Hohen See als zentrales Recht aller Staaten, das heißt Küsten- oder Binnenstaaten gleichermaßen. Dieses Recht umfasst die Freiheit der Schifffahrt, die Freiheit des Überflugs, die Freiheit, unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen, die Freiheit, künstliche Inseln und andere Anlagen zu errichten, die Freiheit der Fischerei sowie die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung. Doch zum rechtsfreien Raum wird die Hohe See damit keineswegs. Denn diese Freiheiten gelten nicht uneingeschränkt. „Spätestens mit dem Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkommens 1994 sind sämtliche Freiheiten, aber auch sonstige Nutzungen der Meere und Ozeane unter der allgemeinen Verpflichtung der Staaten zu sehen, die Meeresumwelt zu schützen und zu bewahren“, sagt Professor Andree Kirchner, Direktor des Instituts für Seevölkerrecht und Internationales Meeresumweltrecht (Isrim) in Hamburg. „Diese Verpflichtung ist in Teil XII des UN-Seerechtsübereinkommens näher ausgestaltet und in einer Vielzahl weiterer Rechtsinstrumente im Detail geregelt. In diesem Teil wird die Bedeutung des UN-Seerechtsübereinkommens als ,Verfassung der Meere‘ besonders deutlich.“

Was passiert mit wissenschaftlichen Bohrlöchern in den Meeren, wenn eine Expedition beendet ist?

Aus der mare-Redaktion

Wie die Erde unterhalb des Meeresbodens beschaffen ist, können Wissenschaftler mithilfe von Bohrungen untersuchen. Je nachdem, welche wissenschaftlichen Fragen beantwortet werden sollen, reichen Bohrungen wenige Meter, aber auch einige hundert Meter tief in den Meeresgrund. Mit den erbohrten Sediment- und Gesteinskernen können Forschende unter­suchen, wie sich Umweltbedingungen verändert haben. Sobald das Bohrgestänge nach der Bohrung entfernt wird, fallen die Löcher meist wieder in sich zusammen. Wie schnell das geschieht, hängt von der Beschaffenheit des Untergrunds ab: Welche Schichten lagern übereinander? Wie sind sie zusammengesetzt? Handelt es sich um Festgestein oder um Sediment? Eindringendes Meerwasser beschleunigt diesen Vorgang. Nicht alle Bohr­löcher werden aber sich selbst überlassen, wenn eine Expedition abgeschlossen ist. Ausgewählte Bohrlöcher verschließen die Forschungsteams, um Messdaten oder Wasserproben aus dem Meeres­boden zu sammeln – zum Beispiel Flüssigkeiten, die in das Bohrloch fließen. Diese Bohrlöcher werden dann nach Jahren wieder besucht, um die Daten auszulesen und die gewonnenen Proben zu entnehmen.

Müssen Wale auch mal pupsen?

Lou Uschkureit, zehn Jahre

Ja, auch Wale pupsen von Zeit zu Zeit. So werden sie überschüssige Gase los, die bei der Verdauung entstehen. Alle Wale müssen tauchen, und dabei sind Wasserstoff, Methan und Kohlenstoffdioxid im Magen-Darm-Bereich eher hinderlich. Die Gase werden unter Wasser abge­geben und können, da sie zum Teil aus Faulgasen bestehen, auch unangenehm riechen. Welche Geräusche Walblähungen erzeugen können, ist wissenschaftlich noch nicht weiter untersucht worden – anders als bei Heringen. Deren Flatulenzen haben Wissenschaftler bereits auf Tonhöhe, Länge und Frequenz geprüft und die Vermutung aufgestellt, dass sie der Kommunika­tion dienen könnten. Was aus dem Verdauungstrakt der Meeressäuger allerdings schon genauer erforscht wurde, ist ihre Darmflora. Wissenschaftler kamen zu dem über­raschenden Ergebnis, dass die Bakte­riengemeinschaft im Darm von Bartenwalen sowohl der von Fleisch- als auch der von Pflanzenfressern an Land ähnelt. Da sie sich hauptsächlich von kleinen Krebsen, dem Krill, ernähren, hätte man eher ein Mikrobiom wie bei Fleischfressern erwartet. Die Parallelen zu Wiederkäuern könnten vielleicht hilfreich bei der Verdauung der chitinhaltigen Krillschalen sein.

Schmilzt das arktische Meereis aufgrund der globalen Klimaerwärmung stärker von unten durch das wärmere Meerwasser oder von oben durch die höheren Lufttemperaturen?

Andreas Püschel, per E-Mail

Die größte Menge des arktischen Meereises schmilzt in den äußeren Regionen des Packeises, dort, wo zwischen den Eisschollen immer auch etwas offenes Wasser ist. Da das Wasser dunkler ist als das Eis, reflektiert es weniger Sonnenlicht, nimmt also mehr Wärme aus der Sonnenstrahlung auf. Diese Wärme lässt einen großen Teil des Eises schmelzen, wodurch noch größere dunkle Wasserflächen entstehen und somit noch mehr Wärme aufgenommen wird. „Dieser Teufelskreis ist sowohl dafür verantwortlich, dass im Lauf eines Sommers immer mehr Eis abschmilzt, als auch dafür, dass sich die Eisbedeckung in den letzten Jahrzehnten so dras­tisch reduziert hat“, erklärt Mischa Ungermann, Nachwuchswissenschaftler im deutsch-kanadischen Graduiertenkolleg ArcTrain. „Nachdem anfangs die leichten Erwärmungen der Luft dafür gesorgt haben, dass etwas weniger Eis vorhanden ist, wurde dieser Trend durch das Mehr an Meer, also mehr offenes Wasser zwischen den Schollen, Jahr für Jahr ver­stärkt.“ In solchen Regionen, in denen die Eisbedeckung nahezu komplett ist, wie zum Beispiel am Nordpol oder vor der Nord­küste Grönlands, schmilzt ungefähr gleich viel Meereis von oben wie von unten, aber dafür insgesamt deutlich weniger als an den Rändern des Packeises.

Gibt es Menschen, die Angst vor dem Meer haben?

Inge Pfaff, per E-Mail

Während hierzulande das Meer oft ein Sehnsuchtsort ist, sehen andere den Ozean als Bedrohung. Dabei kommt es immer auf die Sichtweise an – schließlich ist das Meer nicht nur Erholungsort für Urlauber, sondern zugleich auch Rohstofflieferant, Nahrungsquelle, Transportweg und Arbeitsplatz. Welche Beziehung Menschen zum Meer haben, hängt von ihrer eigenen Situation ab. Für Fischer und Seeleute etwa ist das Meer der Arbeitsort. Sie wissen um die Gewalt von Wind und Welle. Wer nahe der Küste lebt, kennt Stürme, Sturmfluten und Überschwemmun­gen. Früher galt das Meer als Bedrohung, wie das Unbekannte oft als bedrohlich wahrgenommen wird. Literarisch anschaulich hat bereits Theo­dor Storm Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Novelle „Der Schimmelreiter“ beschrieben, wie Menschen sich vor dem Meer schützen – und der Naturgewalt des Meeres doch ausgeliefert sind, wenn etwa der Deich bricht. Mit der Zeit haben Menschen das Meer aber immer besser kennengelernt. Zum Beispiel Seekarten und Wetterprognosen können das Gefühl des Ausgeliefertseins am und auf dem Wasser nehmen. Der Respekt vor der Naturgewalt bleibt dennoch.

Warum sind die Anglerfische der Tiefsee eigent­lich so unansehnlich?

Sylvia Grandinetti, per E-Mail

Dunkel ist es in der Tiefsee. Ob ein Lebewesen dort unten hässlich ist, sieht niemand. Aber was gut oder eben hässlich aussieht, ist eine Frage des Geschmacks und damit recht menschlich. Anglerfische – zu erkennen an ihrem Leuchtorgan an der Stirn, das an eine Angel erinnert – sehen genau so aus, wie es für diese Tiefseeart funktional ist. Das Licht erzeugen sie über fluoreszierende Bakterien selbst und locken damit Partner und Beute an. Die verspricht sich vom Schein der Angel selbst Futter. Mit ihrem breiten Maul packen die Anglerfische dann aber zu und zerkleinern mit den hervorstehenden Zähnen ihre Beute. Mit dem für menschliche Sehgewohnheiten hässlichen Äußeren hat sich der Anglerfisch an seine unwirtliche, nahrungsarme Umgebung in der Tiefsee angepasst. Und bei allem Sinn für Ästhetik: Herr Anglerfisch findet Frau Anglerfisch trotzdem ziemlich attraktiv.

Durch welche Effekte entsteht an der Côte d’Azur eine Farbgrenze im Meer?

Richard May, per E-Mail

Unser Leser beobachtete bei einem Flug über die Côte d’Azur, etwa zwischen Nizza und Antibes, eine Farbgrenze im Meer: auf der Seeseite azurblaues Wasser, entlang der Küstenregion dagegen eine trübe, hellbraune Suppe, die eher an die Nordsee erinnert. Bei Letzterem handelt es sich um Material, das der Fluss Var ins Ligurische Meer transportiert. „Diese sogenannte Suspensionsfracht ist vor dem Vardelta am westlichen Rand Nizzas gut erkennbar. Durch die Schneeschmelze und Frühjahrsniederschläge in der Region wird viel Material im Fluss transportiert,“ erklärt Professor Achim Kopf von der Universität Bremen. „Grund für den abrupten Abriss der braunen Suspension ist die besondere Form des Meeresbodens. Der untermeerische Schelf ist hier nur wenige Kilo­meter breit, sodass die Suspension sehr schnell in größere Tiefen verfrachtet wird.“ Wie ein Wasserfall im Meer rauscht der trübe Strom durch den Canyon des Var bis ins tiefere Mittelmeer, in Wassertiefen von 1500 Metern und mehr. Dass der Leser selbst aus der Luft kein größeres Flussdelta hat ausmachen können, liegt übrigens am Menschen, so Achim Kopf. In dieser Region ist viel begradigt worden. Zum Teil sind die Flüsse, wie etwa der Paillon, sogar mit Straßen komplett übertunnelt.

Auf wen geht das moderne Seevölkerrecht zurück?

Irene Schaan-Neideck, per E-Mail

Zu Zeiten der Entdecker und abenteuerlustigen Seefahrer galt die Rechtsfreiheit auf den Meeren. Doch bereits 1609 etablierte Hugo Gro­tius, heute als Vater des modernen Völkerrechts bekannt, in seiner Streitschrift „Mare Liberum“ ein neues Rechtsverständnis: die Freiheit der Meere. Dies sollte über die Jahrhunderte Bestand haben. Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen begann 1950 mit Vor­arbeiten für eine Rechtsordnung der Meere und Ozeane. Ein jahrzehntelanger, langwieriger Prozess und drei UN-Seerechtskonferenzen sollten sich anschließen. 1967 schlug Arvid Pardo, der Ständige Vertreter Maltas bei der UNO, ein eigenes Rechtsregime für den Meeresboden und den Grund darunter vor – für eine Nutzung zu friedlichen Zwecken, ohne Schädigung Einzelner und zum Wohl aller. „Damit war das Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit geboren“, sagt Andree Kirchner, Direktor des Instituts für Seevölkerrecht und Internationales Meeresumweltrecht (Isrim). „Es hinterfragt die seit 1609 bestimmende Freiheit der Meere und überträgt Verantwortung auf die internationale Gemeinschaft.“ 1982 konnte dann das UN-Seerechtsübereinkommen (Unclos) verabschiedet werden, das 1994 in Kraft trat. Diese „Verfassung der Meere“ ist laut Kirchner eines der wichtigsten und visionärsten internationalen Übereinkommen unserer Zeit.

Warum finden wir das Meer romantisch?

Sylvia Grandinetti, per E-Mail

Das Meer ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Verträumt stehen sie am Strand, blicken über das Wasser auf den Horizont, gestehen sich ihre Liebe mit Herzen im Sand oder halten auf Knien um die Hand der Liebsten an. Dass das Meer so überaus roman­tisch ist, dafür ist der offene Horizont verantwortlich. „Er ist die ästhe­tische Vergegenwärtigung von Unendlichkeit, die Menschen im Meer sehen“, sagt Stefan Matuschek von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Menschen können – ob romantisch veranlagt oder nicht – am Meer an eine sinnliche Erfahrung anknüpfen und auch darüber hin­aus gehen. Dafür gibt es Beispiele in der Kunst, Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ etwa. Es ist das erste kulturhistorische Werk, in dem die Landschaft, also das Meer, als Metapher für einen inneren Zustand gezeigt wird. Das romantische Meer ist ein Luxus, ein Bild für die innere Stimmung – das gilt aber nur für diejenigen, die sicher am Strand stehen. Wird das Meer zum Angst- oder Arbeitsort, ist es mit der Romantik schnell vorbei.

Was ist ein Meeresschmetterling?

Herbert Stein, per E-Mail

Wer schon einmal eine Pteropode hat schwimmen sehen, weiß, warum sie den wunderschönen Trivialnamen „Schmetterling des Meeres“ verdient. Denn diese Flügelschnecken schweben eher durch das Wasser, als dass sie schwimmen. Beim Meeresschmetterling handelt es sich genau genommen um Pteropoden mit Schalen, Thecosomata genannt. Nackte Meeresschnecken, die Gymnosomata, sind im englischsprachigen Raum auch als Sea Angels bekannt. Meeresschmetterlinge kommen in allen Weltmeeren vor. Ihre kalkigen Schalen sind nur wenige bis maximal 30 Millimeter groß. Sie schwimmen mithilfe von paarweise angeordneten Flügeln oder einer durchgängigen Flügelplatte, die sich aus dem Fuß ihrer am Meeresboden lebenden Vorfahren ent­wickelte. Einige Flügelschnecken können große Schleimnetze zum Nahrungsfang produzieren. Sie werfen die klebrigen Netze aus und warten dann reglos darunter. Da ihre Schalen besonders anfällig sind, erlangen die marinen Schmetterlinge heute traurige Berühmtheit als Anzeiger für die vom Klimawandel verursachte Ozeanversauerung.